Emerging Markets bzw. die BRIC Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) spielen für die globale Wirtschaft eine immer wichtigere Rolle. Nach einem anfänglichen Fokus auf die Produktion steht nun auch die Forschung und Entwicklung im Zentrum der Diskussion über eine Verlagerung bzw. einen Aufbau von Standorten in diesen Staaten. Durch spezielle Anforderungen und Schwierigkeiten müssen in dieser Diskussion Aspekte berücksichtigt werden, die über die bisherige Debatte einer Internationalisierung der Forschung und Entwicklung hinausgehen.
Warum Forschung und Entwicklung in Emerging Markets?
Weshalb sollte ein erfolgreiches Unternehmen eine Forschung und Entwicklung in Emerging Markets aufbauen? Vom persönlichen Faible verantwortlicher Mitarbeiter bis hin zur strategischen Notwendigkeit gibt es zahlreiche Gründe. Kurz überschlagen gehören hierzu sicherlich die Folgenden:
- Kunden- und Marktnähe: Entsprechend den Grundsätzen zum Aufbau einer internationalen FuE ist die Kundennähe ein wesentlicher Beweggrund für den Eintritt bzw. den Erfolg in Emerging Markets. Im Vergleich zu den bestehenden westlichen Märkten sind die Wachstumsraten in den Emerging Markets oft höher und vielversprechender.
- Nähe zu Produktionsstätten, Lieferanten und Entwicklungspartnern: Der Wissenstransfer zwischen Forschung und Entwicklung und Produktionsstätten, Lieferanten oder Entwicklungspartnern ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Entwicklung neuer Produkte, Prozesse und Dienstleistungen. Trotz der weitgehenden Verbreitung verschiedenster Kommunikationsmöglichkeiten spielt die räumliche Nähe nach wie vor eine wichtige Rolle für diese Art des Transfers.
- Direkte Kosteneinsparung: Der in der Regel recht hohe Anteil an Personalkosten in der FuE erlaubt die Reduktion der direkten (Personal-)Kosten für FuE Aktivitäten durch die Verlagerung in Emerging Markets. Durch die wachsende Verfügbarkeit hochqualifizierter Hochschulabgänger geht die Verlagerung unterdessen weit über die Ausführung von Standardaufgaben hinaus.
- Indirekte Kosteneinsparung: Durch die Entwicklung angepasster (reduzierter) Lösungen in Emerging Markets (auch bekannt als „Low-Cost Innovation„, „Reverse Innovation„, „Frugal Innovation„, „Constraint-Based Innovation„, „Downgrading“ oder „Good-Enough Products„) Kosteneinsparungen in der Produktion, im Vertrieb oder sonstigen Stufen der Wertschöpfungskette führen können.
- Zugang zu speziellen FuE-Kompetenzen: Forschung und Entwicklung in Emerging Markets kann den Erwerb spezieller technologischer oder marktrelevanter Kompetenzen, die im Stammland nicht, oder nur begrenzt zur Verfügung stehen ermöglichen. Dies kann auch die Überbrückung von regionalen Kompetenzengpässen beinhalten.
Der Enthusiasmus über neue Chancen von Forschung und Entwicklung in Emerging Markets darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese ähnlichen Erfolgsfaktoren unterliegt wie an jedem anderen Standort. Ohne beispielsweise eine langfristige Planung und die strategische Konsistenz des Vorhabens bringen auch die besten Gründe nicht viel im Bezug auf den erfolgreichen Aufbau einer Forschung und Entwicklung in Emerging Markets.
Herausforderungen und Schwierigkeiten
Dass es sich bei dem Aufbau einer Forschung und Entwicklung in Emerging Markets um keine leichte Aufgabe handelt, können wahrscheinlich die meisten, die mit einer solchen Aufgabe beschäftig waren, bestätigen. Über die generellen Erfolgsfaktoren des FuE-Management hinaus tauchen in zahlreichen Fallbeispielen weitere Herausforderungen und Schwierigkeiten auf:
- Kultur- und Strukturunterschiede: Eine der meist unterschätzten Herausforderung ist die Überwindung kultureller Unterschiede. Dies beinhaltet sowohl kulturell bedingte Verhaltensmerkmale und gesellschaftliche Regeln als auch Unterschiede in Infrastruktur und Gesetzgebung. Viele Randbedingungen, die in westlichen Ländern als Status Quo etabliert sind, gelten in Emerging Markets nicht in gleichem Maße.
- Wissensabwanderung: Durch die Notwendigkeit, Wissen der Forschung und Entwicklung an Mitarbeiter und ggf. Entwicklungspartner weiterzugeben, kann erfolgskritisches Wissen im Stammhaus verloren gehen bzw. über Mitarbeiterfluktuation in den Emerging Markets verbreitet werden.
- Produktpiraterie: Oftmals sind Produkte und Dienstleistungen nicht in der gleichen Form vor der Nachahmung geschützt wie in westlichen Ländern. Insbesondere für den Einsatz in Emerging Markets kann durch Produktpiraterie sowohl das Image des Unternehmens als auch die Marktposition leiden. Eine neuartige Sichtweise auf das Thema Produktpiraterie ist es jedoch, diese auch für die Weiterentwicklung der eigenen Produkte und zur Identifikation spezieller Marktanforderungen zu nutzen.
Entgegen der Angst vor einer generellen „Auswanderung“ der Forschung und Entwicklung steht die Tatsache, dass Komponenenten für die in Emerging Markets entwickelten und hergestellten Produkte oft aus westlichen Ländern stammen. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist der Tata Nano bei dessen Herstellung Komponenten oder Produktionsanlagen von bspw. Bosch, Continental, Dürr oder Freudenberg eingesetzt werden. Die Wahrheit für die globale Verteilung der FuE befindet sich wohl auch in Zukunft irgendwo zwischen den Extremen. Der derzeitige „Hype“ um die Emerging Markets liefert in jedem Fall geeignete Randbedingungen für das Abenteuer „FuE in Emerging Markets“.
Weitere Informationen:
Kostenloser Special Report der Zeitschrift The Economist vom 17. April 2010 zum Thema „Innovation in Emerging Markets„.
Das im Gabler Verlag erschienene Buch mit dem Titel „Industrielle Forschung und Entwicklung in Emerging Markets„ in dem zahlreiche Fallbeispiele aus der Praxis dargestellt werden.