Slow Innovation – Erfolgsrezept oder Buzzword?

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Das schöne am Begriff der Innovation ist die Tatsache, dass er so einfach mit neuen Adjektiven ergänzt werden kann. „Open Innovation“, „Disruptive Innovation“ usw. sind Beispiele dafür, wie der – teils zu Recht – überstrapazierte Innovationsbegriff mit neuen Facetten versehen wird. Im Laufe der letzten Wochen und Monate sind wir dabei wiederholt, u.a. hier, hier und hier auf den Ausdruck „Slow Innovation“ gestoßen. Schon beim ersten Mal lesen denkt man, „Moment, kann es so etwas wie ‚Slow Innovation’ überhaupt geben?“ bzw. „Darf es so etwas überhaupt geben?“. Zumindest war unsere Neugier geweckt, um herauszufinden, wer denn nun gewinnt, der schnelle Hase oder der bedächtige Igel.

Eine der wenigen Daumenregeln im Innovationsmanagement, die man guten Gewissens vertreten kann, ist wohl die, dass man nie genug Ideen und Konzepte im Innovationstrichter haben kann. Wir wissen auch, dass innerhalb des Innovationstrichters teils sehr unterschiedliche Prioritäten gelegt werden. Einige Unternehmen arbeiten mit vergleichweise vielen Ideen und vielen Konzepten, um späte Entscheidungen zu treffen (s. Musterbeispiel Toyota), andere tendieren dazu, sich recht früh auf erfolgversprechende Projekte festzulegen. Aber in Punkte Zeit waren sich eigentlich alle einig: Es kann gar nicht schnell genug gehen, um Innovationen auf den Markt zu bekommen. Ich möchte fast behaupten jedem der uns bekannten Innovationsmanager geht es sowieso schon zu langsam. Und jetzt also „Slow Innovation“. Was steckt eigentlich dahinter?

Worum geht es bei Slow Innovation?

Um eine Erklärung zu finden, zieht Derek Cheshire eine Parallele zur „Slow Food“-Bewegung. Diese wurde als Gegeninitiative zum allgegenwärtigen Fast Food ins Leben gerufen. Sie sollte zeigen, dass der Fortschritt nicht immer nur im „schneller, höher, weiter“ liegt, sondern eben auch in einer Rückbesinnung auf das, was dem Menschen tatsächlich wichtig ist, beispielweise eben einer bewussten, gesunden Ernährung. Analog dazu argumentiert Cheshire, dass die Erfolgsrate vieler Innovationen so gering sei, weil ein Großteil der neu eingeführten Leistungen sich bei einer genaueren Betrachtung eher als Scheininnovationen entpuppen. Diese brächten aber auf lange Sicht keinen Vorteil. Im Gegenteil, einerseits würde auf Kundenseite Schaden entstehen, da sich diese langfristig nicht mit Scheininnovationen abspeisen lassen. Andererseits hätte dieses Verhalten aber auch negative Folgen für das Unternehmen selbst. Wenn Zeit die wichtigste Rolle spielt, würde eine Innovationskultur gefördert, die die Motivation und Sorgfalt seiner innovativen Mitarbeiter untergräbt. Auch wenn der Fast Food-Weg kommerziell reizvoll erscheint, so stellt er sich unter Umständen als wenig nachhaltig heraus („[…] a cash injection in return for a short-term stimulus“).

Andere Autoren argumentieren, dass es so etwas wie Slow Innovation gar nicht geben könne. Zu zahlreich sei die Zahl der Wettbewerber, die nach den gleichen Innovationschancen trachte, zu schnell die Beschleunigung in den Innovationszyklen. Man denke alleine nur an Branchen wie (Unterhaltungs-)Elektronik und Telekommunikation mit Innovationszyklen, die teils unter einem Jahr liegen.

Fazit: Kein eigenes Konzept – aber ein guter Denkanstoß

Ist „Slow Innovation“ also eher ein Buzzword oder alter Wein in neuen Schläuchen? Zunächst halten wir es überhaupt für interessant einen  kausalen Zusammenhang zwischen der Entstehungsdauer einer Innovation und dem daraus kreierten Wert für den Nutzer bzw.  Kunden zu vermuten. Diesen jedoch nachzuweisen fällt schwer.  Unserer Überzeugung nach liefern diese Beiträge keine wesentlichen neuen Erkenntnisse, um „Slow Innovation“ als ein handlungsweisendes Konzept zu etablieren. Sie eignen sich dennoch gut dazu, die eigene Innovationsstrategie und die Innovationsaktivitäten zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

  1. Slow Innovation als Gestaltungsprinzip für die Innovationspipeline: Für viele Unternehmen ist der Druck immens, immer wieder als Erster mit Neuerungen den Markt zu überraschen. Nicht selten sind sie dabei an einen festen Rhythmus gebunden. Falls die wichtigste Branchenmesse einmal jährlich stattfindet, geben sich die Kunden eben ungern mit dem Produktprogramm des letzten Jahres zufrieden. Aus diesem Grund halten wir es für dringend notwendig, die Innovationspipeline entsprechend ausgeglichen zu gestalten, d.h. jederzeit größere und kleinere Innovationsvorhaben zu verfolgen. Während fortwährend kleine Innovationen die Kunden eventuell nicht zufrieden stellen, ist es allerdings ebenso wenig sinnvoll, mit vollem Risiko und Ressourceneinsatz immer wieder alles auf eine Karte zu setzen um ausschließlich radikale Innovationen zu verfolgen. Das hört sich zwar banal an, ist aber in der Praxis keineswegs immer zu beobachten.
  2. Slow Innovation als Verhaltens- und Führungsprinzip: „Gut Ding will Weile haben“ – fast jedes Buch zum Thema Innovation ist gespickt mit Beispielen, in denen eine bahnbrechende Idee sich erst im Laufe der Zeit beweisen muss und etliche Jahre von der Entwicklung bis zur erfolgreichen Kommerzialisierung vergehen. Man danke nur an die Post-it-Erfolgsgeschichte. Diesen Beispielen liegt vor allem eine Erkenntnis zu Grunde. Innovationen werden von Menschen vorangetrieben, die z.T. mit erheblichem persönlichem Einsatz über einen langen Zeitraum ihre Ideen verfolgen und dabei auch oft gegen (kurzfristige) Unternehmensziele ankämpfen müssen, bis die Früchte ihrer Arbeit geerntet werden können. Die Motivation und das Durchhaltevermögen der Mitarbeiter sind aber begrenzt und nicht beliebig strapazierbar. Wer die Vorschläge seiner Mitarbeiter im Keim ersticken lässt bzw. nicht die notwendigen Ressourcen zu deren Verfolgung zur Verfügung stellt, reduziert eindeutig seine Innovationsfähigkeit.

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Flavius Sturm

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